Spermidin, auch Monoaminopropylputrescin genannt, ist ein biogenes Polyamin und somit ein Zwischenprodukt bei der Bildung von Spermin aus Putrescin und decarboxyliertem S-Adenosylmethionin.
Spermidin kommt in allen lebenden Organismen vor und spiel eine wichtige Rolle in Zellwachstum un ist in verschiedene Prozesse eingebunden. Die genaue physiologische Funktion des Spermidins in der wachsenden Zellen z. B. bei der Produktion von Nukleinsäuren und Proteinen oder Membranstabilisierung ist jedoch noch nicht vollständig geklärt. Die Menge von Spermidin im Organismus erhöht sich bei einer Beschleunigung des Stoffwechsels. Bei einer Verlangsamung des Stoffwechsels geht die Produktion von Spermidin zurück. Die Konzentration und die Produktion an körpereigenem Spermidin nimmt zudem beim Altern ab.
Natürliche Umstände, die den Spermidinwert erhöhen lassen, sind Wachstum, Schwangerschaft, Reparatur von Muskelzellen nach starker sportlicher Anstrengung sowie Regenerierung der roten Blutkörperchen nach Blutverlust bzw. -armut oder nach längeren Höhenaufenthalten. Diverse Krankheiten werden ebenfalls durch erhöhte Spermidinwerte signalisiert, z. B. chronische Entzündungen der Gelenke bei rheumatischen Erkrankungen, der Leber bei Hepatitis, des Darmes bei Colitis und der Haut bei Ekzemen und Psoriasis.
Spermidin wirkt verstärkend auf die Autophagie, einen zellulären Prozess, der für die allgemeine Zellaktivität von Proteinen sowie die Funktion der Mitochondrien und Kardiomyozyten (Herzmuskelzellen) entscheidend ist. Im Tierversuch an Fruchtfliegen hatte sich gezeigt, dass eine Zufuhr von Spermidin durch die Nahrung bei diesen Insekten der altersbedingten Demenz entgegenwirkt. Einer Forschungsgruppe um den Grazer Biochemiker Frank Madeo gelang bei Labormäusen der Nachweis, dass Spermidin vor kardiovaskulären Erkrankungen schützt und damit zur Lebensverlängerung beitragen kann. Es verzögert die Herzalterung, indem es die diastolische Funktion verbessert. Im Tierversuch wurde nachgewiesen, dass die Hypertonie (Bluthochdruck), ein wesentlicher Verursacher von Herzinsuffizienz, durch Spermidin gesenkt wird. Spermidin verringerte dabei die pulmonale bzw. systemische Flüssigkeitsansammlung, die für Herzinsuffizienz charakteristisch ist. Die Aufnahme von Spermidin in entsprechender Ernährung korrelierte umgekehrt zum Auftreten der Herzinsuffizienz. In den Untersuchungsgruppen (Hoch- bzw. Niedrigaufnahme) war das Erkrankungsrisiko der Hochaufnahmegruppe um 40 Prozent reduziert. Bei den Versuchen wurde auch eine protektive Wirkung auf die Nierenfunktion erkannt.
Im August 2018 veröffentlichten die österreichischen, französischen und englischen Kliniker und Forscher die Ergebnisse einer Studie, in welcher die Aufnahme von Spermidin in den Ernährungsgewohnheiten einer Personengruppe regelmäßig protokolliert worden war. Die Studie streckte sich über einen zwanzig jahre langen, klinischen Beobachtungszeitraum von 1995 bis 2015. An der Untersuchung nahmen 829 Probanden zwischen 45 und 84 Jahren (Männeranteil 49 Prozent) teil. In diesem Zeitraum starben 341 der Personen, und zwar 40,5 Prozent von ihnen im unteren Drittel der Spermidinaufnahme, 24 Prozent im mittleren und 15 Prozent im oberen Drittel. Das unterschiedliche Mortalitätsrisiko von Menschen des oberen Drittels im Vergleich zu jenem des unteren Drittels entsprach dabei einem um 5 bis 7 Jahre geringerem Lebensalter.
Literatur
- J. Kim: Spermidine rescues proximal tubular cells from oxidative stress and necrosis after ischemic acute kidney injury. In: Archives of pharmacal research. (Arch Pharm Res.) Oktober 2017, Band 40, Nr. 10, S. 1197–1208, doi:10.1007/s12272-017-0957-3
- Vorkommen von Putrescine, Spermidin und Spermin in Nahrungsmitteln: M. Atiya Ali, E. Poortvliet, R. Strömberg, A. Yngve: Polyamines in foods: development of a food database. In: Food & nutrition research. Band 55, 2011, doi:10.3402/fnr.v55i0.5572. PMID 21249159. PMC 3022763 (freier Volltext).
- Weitere Studien zu Spermidin auf PubMed.